When London calls, Neuendettelsau answers
Ein seltsamer Anblick bot sich in einer frostigen Oktobernacht am Neuendettelsauer Busbahnhof. Kurz nach Mitternacht waren dort ein ganzer Haufen Achtklässer*innen, Eltern, Koffer und Sperrgepäck versammelt. Mittendrin vier Lehrkräfte, die den Überblick behielten, oder es zumindest versuchten: Frau Loos, Frau Bing, Herr Ramspeck und Frau Lang. Die teilweise eigens beantragten Reisepässe waren die Eintrittskarte in den Reisebus, der für die nächsten fünf Tage unser fahrbarer Untersatz und irgendwie auch unser Zuhause werden sollte. Die Anspannung war greifbar, als der Busfahrer schließlich den Motor startete und den Bus langsam aber sicher gen Norden lenkte. Das Ziel: London. Der Weg: weit. Nach einigen Pausen auf den lauschigsten Rastplätzen der Bundesrepublik erreichten wir schließlich die belgische Grenze, umrundeten Brüssel und brausten schon bald auf französischem Asphalt dahin. Die erste Etappe war geschafft, als wir schließlich am Fährhafen Dünkirchen ankamen. Bei strahlendem Sonnenschein befuhren wir die Fähre und stachen in See.
Am Horizont schälten sich nahezu mystisch die weißen Klippen von Dover aus dem Nebel und kündigten unsere baldige Ankunft im Vereinigten Königreich an. Gespannt rückten wir – nun auf der linken Fahrspur – unserem Zielort immer näher. Allmählich wurde der Blick aus dem Busfenster dann immer interessanter: Läden, Restaurants, Hochhäuser, Brücken, Taxis, rote Doppeldeckerbusse. Welcome to London. Von unserer Odyssee erschöpft und mit teils recht fadenscheinigem Nervenkostüm checkten wir am Abend endlich in unser Quartier – ein typisches Londoner Hotel mit antikem Charme – ein.
Durch einige Stunden Schlaf in einem wahrhaftigen Bett sichtlich erfrischt starteten wir am Dienstagmorgen in unseren ersten Tag in London. Bei einer Stadtrundfahrt zeigte uns die Reiseführerin die berühmtesten Sehenswürdigkeiten der britischen Hauptstadt und klärte uns über deren Geschichte auf. Dann ging es weiter nach Greenwich, dem Londoner Stadtteil, der unseren Schüler*innen spätestens seit der fünften Klasse aus dem Englischbuch wohlbekannt ist. Hier probierten wir uns zum Mittagessen auf dem Greenwich Market durch Gerichte aus aller Welt, bevor wir bei einer Bootstour auf der Themse einige weitere Must-Sees abhaken konnten. Beim letzten Programmpunkt des Tages kamen vor allem die Harry-Potter-Fans auf ihre Kosten: Ein englischer Guide führte uns zu verschiedensten Schauplätzen der Harry-Potter-Filme und erzählte uns in wunderschönem British English Fakten und Anekdoten rund um den weltbekannten Zauberer. Ihren krönenden Abschluss fand die Tour am Bahnhof King’s Cross. Dort fährt bekanntlich auf Gleis 9 ¾ der Hogwarts Express, welchen wir allerdings schweren Herzens links liegen lassen mussten. Wir hatten ja unseren – nur geringfügig weniger magischen – Reisebus. Im Harry-Potter-Shop hatten eingefleischte Fans aber die Möglichkeit, sich mit allerlei zauberhaftem Krimskrams einzudecken. In den hotelnahen, schnuckeligen Restaurants rund um den Norfolk Square ließen die Schüler*innen und Lehrkräfte den Tag in Kleingruppen ausklingen.
Am nächsten Tag verließen wir die Großstadt und machten uns auf in die weltberühmte Universitätsstadt Oxford. Dort führten uns fach- und ortskundige Guides durch die engen Straßen, vorbei an wunderschönen Bauten und mit Wissen und Geschichten zum Bersten gefüllten Bibliotheken und Buchläden. Geschichtsträchtig ging es danach weiter auf Hampton Court: Der Palast Heinrichs VIII. beeindruckte durch seine Größe und die Weitläufigkeit der Parkanlagen. Auch die Ausstellungen in den prunkvollen Sälen des königlichen Wohnsitzes und der Gift Shop warteten mit interessanten Gegenständen auf. Mit gut gefüllten Gehirnen kehrten wir gegen Abend wieder zurück in die Metropole.
Unser letzter Tag in der Hauptstadt gestaltete sich besonders ereignisreich: Heute erledigten wir fast alle Programmpunkte zu Fuß. In Shakespeare’s Globe Theater wurden uns der englische Nationaldichter, seine Werke und die Bretter, die die Welt bedeuten, nähergebracht. Beim Lunch im gut besuchten Borough Market konnte man sich durch verschiedenste Spezialitäten snacken und zum Beispiel auch die mittlerweile TikTok-viralen Schoko-Erdbeeren kosten. Nach diesen kulinarischen Höhenflügen ging es auch am Nachmittag hoch hinaus: Das London Eye hob uns hoch über die Dächer von London und bescherte uns einen unvergleichlichen Ausblick auf diese gigantische Stadt. Beim Abendessen im Hard Rock Café ließen wir umringt von den Gitarren und Lederjacken legendärer Musiker unsere Erlebnisse Revue passieren und alle hatten zuletzt noch die Gelegenheit, sich und die gesamte Familie mit Pullis oder T-Shirts mit dem obligatorischen Schriftzug auszustatten. Irgendwie muss man ja beweisen, dass man tatsächlich in London war.
Die Fähre brachte uns am nächsten Tag zurück aufs Festland. Die Busfahrt zurück in die Heimat zog sich wie Kaugummi, doch man vertrieb sich die Zeit so gut es ging mit Essen, Schlafen, Filmschauen oder einer aussichtslosen Partie Uno gegen Herrn Ramspeck. Nach einer eingehenden Besichtigung dutzender Tankstellen und Sanifair-Toiletten kamen wir schließlich mitten in der Nacht in einer der Parkbuchten am Neuendettelsauer Busbahnhof zum Stehen. Mit eingeschlafenen Füßen und müden Augen wankten wir an die frische Nachtluft und verabschiedeten uns von unserem treuen Ross, dem weißen Reisebus. Hier wurden die Schüler*innen schon sehnsüchtig von ihren – wahrscheinlich ebenfalls etwas übernächtigten – Eltern und Geschwistern erwartet. Nach und nach löste sich die Reisegesellschaft unter leisen Worten des Abschieds in Wohlgefallen auf. Unsere Reise war zu Ende.
57 Schüler*innen, vier Lehrkräfte, eine Weltstadt. Ein Mammutprojekt, das nur mit starken Nerven und viel Organisationstalent zu stemmen war. Trotz aller Widrigkeiten hielt unsere große Gruppe fest zusammen, überstand zwei endlose Busfahrten und weitere Krisen und konnte am Ende dem Großstadtdschungel wieder heil entkommen. Doch die Strapazen haben sich natürlich gelohnt: Unter einer goldenen Herbstsonne zeigte uns die Stadt an der Themse ihre schillernden Facetten in voller Pracht. Hautnah erlebten wir die nahezu magnetische Anziehungskraft der britischen Hauptstadt und ließen uns von den Geschichten und Legenden mitreißen, die sich um sie ranken. Und ganz nebenbei konnten unsere Schüler*innen selbstverständlich auch ihre Englischkenntnisse ausprobieren und aufpolieren. Jeder Tag servierte uns ein Full English Breakfast an unvergesslichen Eindrücken und Erlebnissen, von dem wir sicherlich noch lange zehren werden. Doch trotz unseres vollen Programms konnten wir nur einen Bruchteil dessen erkunden, was London zu bieten hat. Eines ist also sicher: Wir kommen wieder.
Rebekka Lang
„There’s nowhere else like London. Nothing at all, anywhere.“
Vivienne Westwood