Am ersten Schultag fand in der Laurentiuskirche der Gottesdienst statt, bei dem auch die neuen Schüler und Lehrer begrüßt wurden. Thema des Gottesdienstes war „mal sehen“, denn zu Beginn eines jeden Schuljahres muss man sich immer wieder aufs Neue zurechtfinden. Die Lehrkräfte wissen, welche Fächer sie in welchen Klassen unterrichten oder was es an Inhalten und Fähigkeiten zu vermitteln gibt. Die Schüler wissen, mit welchen Freunden sie in einer Klasse sind oder welche Fächer sie erwarten. Aber, was genau auf uns zukommt, was den morgigen Tag ausmacht, die nächste Woche, den nächsten Monat und das ganze Schuljahr, davon sehen wir anfangs nicht wirklich viel.
Beim Sehen helfen uns oft verschiedene Brillen. Meine Brille hilft mir, auf die Entfernung besser zu sehen. Im übertragenen Sinne soll die Brille helfen, den Durchblick zu haben, die Welt zu sehen, wie sie ist. Herr Cunradi erzählte im Gottesdienst von seiner Lesebrille. Sie macht die Details, die Kleinigkeiten sichtbar, scharf und unüberlesbar. Denn es ist wichtig, sich auch in den alltäglichen Kleinigkeiten unseres Lebens auszukennen und auch das Kleine, das Besondere zu sehen. Frau Gruber kam mit ihrer Sonnenbrille in den Gottesdienst. Sie berichtete, dass diese ihr im Urlaub in Norwegen am Nordkap die Augen vor zu viel Sonne geschützt hat, denn dort geht die Sonne im Sommer nicht unter. Herr Weber machte auf die „Ein-Dollar-Brille“ aufmerksam. Wie der Name schon sagt, braucht es nur einen Dollar, damit ein Mensch in einem ärmeren Land wieder besser sehen und so die Schule besuchen und am Leben teilhaben kann. Eine Brille, die Hoffnung schenkt, also. Und dann habe ich noch eine weitere Brille mit in den Gottesdienst gebracht: eine rosarote Brille. Wer durch so eine rosarote Brille schaut, der sieht die Welt in zarten Farben, da gibt es keine beängstigenden Farben oder Dunkelheit. Das beruhigt die Augen. Aber so ist die Welt natürlich nicht; sie ist nicht nur sanft und schön — sie wartet auch mit Herausforderungen auf uns. Auch in diesem Schuljahr wird es Herausforderungen und Aufgaben geben. Besser ist es, diese nicht zu übersehen und gleich zu Beginn voll durchzustarten, um kurz vor dem Zeugnis nicht ins Straucheln zu geraten, weil man am Anfang alles zu locker angegangen ist.
Der Wirklichkeit ins Auge sehen, auch die Kleinigkeiten wichtig nehmen, beschützt sein, Hoffnung zulassen und sich den Herausforderungen stellen. Das lerne ich von den Brillen. Im Gegensatz zu den Menschen braucht Gott keine Sehhilfen. Gott sieht genau, wie es uns geht, was wir brauchen. Er sieht, wo wir Schutz, Trost oder Hilfe nötig haben. Gott hat uns im Blick, er schaut nach uns, auch ohne Brille.
Sandra Brechtelsbauer